Das Mantra lautet: durchmischte Quartiere.
Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, sagt im Interview, wie und wo die Stadt Bern in den nächsten Jahren wachsen soll und wo er die natürliche Grenze dieses Wachstum sieht.
Die Schweiz wächst und braucht Wohnraum. Was bedeutet das für die fünftgrösste Schweizer Stadt Bern?
Alec von Graffenried: Die Städte wachsen zusätzlich, weil der Bewegungsdrang zurück in die Städte führt. Diese haben einen Nachholbedarf, da sie zwischen 1970 und 2000 geschrumpft sind. Das ergibt raumplanerisch Sinn. Die Städte haben Infrastruktur und liegen an den Knotenpunkten des Verkehrs. Wenn wir trotz Wachstum weniger Verkehr wollen, müssen mehr Menschen in Städten wohnen.
Umnutzung ist zum geflügelten Wort geworden. Man erschliesst nicht Grünflächen, sondern nutzt Vorhandenes.
Wir reden vor allem über die Verdichtung nach innen. Man hat schon lange Industriebrachen in Wohnraum verwandelt. Aber nun müssen wir neben der Wohn- auch die Arbeitsnutzung forcieren. Die Städte suchen den Mix: Wohnen und Dienstleistung, aber auch Gewerbe und Industrie.
Wie schwierig ist es, bei Überbauungen die Vielfalt der Interessen zu berücksichtigen?
Planung ist bei uns demokratisch, in Bern sogar fast basisdemokratisch. Am Schluss gibt’s immer eine Volksabstimmung. Wer Risiken minimieren will, muss mit dem Volk reden. Eine Stadt kann nicht an den Wünschen der Bevölkerung vorbei entwickelt werden.
Wankdorfcity 3 gilt als Leuchtturmprojekt. Warum?
Die Ecke zwischen der Bahnlinie und der Autobahn ist nicht bevorzugt und gleichzeitig exponiert. Das Kunststück wird sein, dort so zu bauen, dass eine echte Transformation möglich wird und die Menschen mit Begeisterung wohnen und arbeiten. An Urbanität wird es in Wankdorfcity 3 nicht fehlen.
Wäre es nicht gescheiter, anstelle der gestapelten Stadt einen Turm wie den Bäretower in Ostermundigen mit 150 Wohnungen in die Höhe zu ziehen?
Nein, Gebäude sollen auch stehengelassen werden. Das ist ein wichtiger Hebel. Alles abbrechen und alles neu bauen ist ein Stück weit Vergangenheit. Die Kreislaufwirtschaft ist eine Forderung der Zeit. Man will Bausubstanz erhalten – wie die markante Shed-Halle bei Wankdorfcity 3. Sie ist ein Identitätsfaktor. Man kann sich an etwas halten im Quartier.
Wird es gelingen, die ersehnte Durchmischung hinzukriegen?
Wegen der gestiegenen Lebensqualität wachsen die Städte. Es gibt keine Push-Faktoren mehr, welche die Leute aus den Städten treiben – wie stinkende Industrie oder lärmiger Verkehr. Der Effekt auf dem Wohnungsmarkt: Immobilienpreise und Wohnungsmieten kennen nur die Richtung nach oben. Wir wollen indessen eine durchmischte Stadt, Jung und Alt, Arm und Reich – alle zusammen. Teure Wohnlagen entstehen in den Städten von selbst. Wohnraum für alle ist dagegen eine Herausforderung. Wankdorfcity 3 müsste dem gerecht werden. Nicht überall ist von Alpensicht auszugehen.
Wankdorfcity 3 ist auch eine Antwort auf Wankdorfcity 1 und 2.
Unbedingt. Vor allem Wankdorfcity 1 funktioniert nur teilweise. Aber sie ist aus der Zeit heraus entstanden. Ende der 1990-er Jahre war ein Gedanke prioritär: Dort Entwicklungsschwerpunkte mit Dienstleistungsnutzung vorantreiben, wo sich S-Bahn-Bahnhöfe befinden. Wo, wenn nicht im Wankdorf? Auch ich übernahm damals diese Logik: Dort kann man nicht wohnen.
Ist das heute anders?
Das war aus heutiger Sicht ein Fehlschluss. Auch an solchen Lagen kann man mit geschickter Konzeption in guter Qualität wohnen. Das Mantra lautet: durchmischte Quartiere. Wankdorfcity 1 ist das nicht, Wankdorfcity 2 mit den Studentenwohnungen und dem Hotel ein bisschen. Die Vision können wir erst mit Wankdorfcity 3 verwirklichen.
Die Entwicklungsschwerpunkte Wankdorf und Ausserholligen sind die grossen Brocken. Wo ist in der Stadt Bern sonst noch Potenzial?
Wankdorfcity ist das Projekt ganz draussen. Auf der anderen Seite der Zuglinien geht’s mit einem geplanten Quartier an der Wankdorffeldstrasse mit rund 800 Wohnungen weiter. Stadteinwärts folgt die Wifag-Überbauung. Auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt ist an der Riedbachstrasse in Bethlehem ein neues Wohngebiet geplant. Die grosse Stadterweiterung wird erst möglich, sobald wir die Autobahn im Osten verlegen und das dortige Gebiet neu planen können. Heute das Wankdorf im Norden, in 20 Jahren der Osten.
Wo sehen Sie für die Stadt Bern die Grenze des Wachstums?
Die natürliche Grenze liegt irgendwo zwischen 160'000 und 180'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Limite von überbauten Grünflächen ist mehr oder weniger erreicht. Die Stadt kann nicht wie früher nach aussen wuchern. Das sollte mit dem Raumplanungsgesetz eingedämmt sein. Das ist das Ziel, nicht nur in Bern: innerhalb der überbauten Flächen verdichten.