Es wird nicht ein Schlafstadt-Idyll
Der Berner Stadtplaner Mark Werren sagt, dass die gestapelte Stadt Wankdorfcity 3 eine neue Dimension der Urbanität entwickle.
Mark Werren, früher war die Meinung, dass auf dem Gebiet von Wankdorfcity nicht gewohnt werden kann. Dachten Sie auch so?
Das Gebiet des alten Schlachthofs zwischen Auto- und Eisenbahn ist höher belastet als typische Wohnorte in der Stadt. Also suche ich eine Wohnung zunächst anderswo. Aber mit der Siedlungsverdichtung nach innen, mit dem Credo in der Schweiz, dass der Landschaftsschutz in den Vordergrund rückt, wurde klar, dass sich die bisherige Sichtweise kehren muss.
Also wird Wankdorfcity auch zur Wohnlage.
Ja, aber es kann nicht das klassische Familienwohnen sein, nicht ein Schlafstadt-Idyll. Der Ort wird lebendig und spannungsreich, mit S-Bahnhof und Autobahnanschluss, mit dem Eventgelände, mit der Messe, dem Stadion, mit Sportanlagen, aber auch attraktiven Arbeitsplätzen.
Wo orten Sie den Kern des Projekts Wankdorfcity 3?
In der Beantwortung der Frage: Wie baut man mit dieser Ausgangslage? Dazu gehören die Themen Lärmschutz und Insellösung. Wir leben hier noch nicht im Wohnquartier, sondern auf der anderen Seite der Eisenbahnlinien. Gleichzeitig sind wir dank der ÖV-Anbindung schnell in der Stadt - und zu Fuss ebenso rasch im Aareraum. Die neue Wankdorf-City ist durchmischt, raffiniert gestapelt und urban gedacht. Ich spüre den Horizont, erlebe die Panoramen der Alpen- und Jurakette und bin trotzdem mittendrin.
Ist es auch der Gegenentwurf zur solitären Hochhaus-Typologie?
Die Versuchung ist gross, an einem solchen Ort mit Bürokomplexen oder klassischen Hochhäusern zu agieren. Das begann schon in den 1980- und 1990-er Jahren. An der Wankdorfkreuzung und am Guisanplatz wurden damals Hochhäuser geplant. Man ging davon aus: Hier beginnt’s, hier sind Portale zur Stadt, hier setzen wir städtebauliche Akzente. Aber mit der Arbeit am Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf wuchs das Bewusstsein, dass das ein anspruchsvoller und anders zu lösender Quartierteil werden muss.
Wie aussergewöhnlich ist der Planungsprozess von Wankdorfcity 3?
Innovativ ist vor allem die Prozess-Architektur. Wankdorfcity 1 und 2 sind noch als Arbeitsstadt geplant, nur von 9 bis 17 Uhr und von Montag bis Freitag belebt. Jetzt ging man methodisch anders vor. Raum für Innovation schaffte man im Dialog.
Was ist neu in dieser Planung?
Der Immofonds als Eigentümer setzte nicht einfach auf ein fixes Programm, sondern liess sich auf einen breit abgestützten Entwicklungsweg ein und arbeitete zunächst mit unterschiedlichen Szenarien. Mehrere Planerteams wurden eingebunden. Eines hatte beispielsweise die Aufgabe, ein regionales Zentrum mit Ausstrahlung weit über Bern hinaus zu entwickeln. Ein anderes Team verfolgte das Konzept eines geschützten, eher introvertierten Wohnquartiers. Aus dem Ideenfächer entstand das Bewusstsein für eine geschickte Mischnutzung. Zudem geht es um die Schaffung von Identität - und die Prüfung von dort möglichen Lebensqualitäten. Man ging lernend und im Miteinander an die komplexe Aufgabe heran.
Das Motto der Nutzung lautet: Mehr aufeinander, mehr Vielfalt.
Das monofunktionale Hochhaus würde nicht funktionieren. Es braucht vielmehr Qualität, das Zusammenspiel der unterschiedlichen Nachbarschaften, attraktive Orte und Räume, urbane Lebensqualität. Wir beteiligten Fachpersonen aus der Sozialraumplanung und Leute aus dem Quartier und fragten: Was glaubt ihr, was hier möglich ist? Für die Stadt war ursprünglich prioritär, die Hauptsitze der SBB und der Post in Bern zu behalten. Heute braucht es mehr für ein lebendiges Quartier.
Das heisst?
Es gibt die Arbeitsebene in den unteren Geschossen, das Ankommen, Gewerbe, Läden, publikumsorientierte Nutzungen, eine einladende Aussenraumgestaltung. Dort ist das einzuplanen, was Adressen bildet, lärmverträglich ist und Schatten erträgt. Das Wohnen folgt oben. Auch dort gibt es vorteilhaftere und schwierigere Lagen. Dort muss eine Ebene geschaffen werden, wo mehr als nur Lifte ankommen. Eine zweite Stadtebene, mit Aufenthaltsqualitäten und Grün, Orte der Begegnung. Man stapelt, und schafft damit auch auf den oberen Ebenen gute Lebensqualität.
Die Rede ist von sozialer Interaktion, von atmosphärischer Verdichtung in der dritten Dimension.
Bern ist eine Hochhausstadt und hat Hochhaussiedlungen, die in der Vergangenheit Beachtung gefunden haben. Wankdorfcity 3 entwickelt mit dieser Denkweise eine neue Dimension der Urbanität und Siedlungsentwicklung nach innen. Wir schauen bewusster hin, wie hohe Dichte und qualitätsvoller Freiraum für die Bewohnerinnen und Bewohner zumutbar und attraktiv zu lösen sind. Wankdorfcity 3 ist eine Première dafür.
Im Sommer 2023 hören Sie als Stadtplaner auf. Was hat sich über die Jahre verändert?
Im Fokus ist der Paradigma-Wechsel von 2012 mit der Landschaftsschutz-Initiative, gefolgt von der Revision des Raumplanungsgesetzes. 10 Jahre danach sehen wir, was das konkret heisst. Es bedeutet Knochenarbeit und das Lösen unzähliger Interessenskonflikte. Wir bauen nicht mehr einfach auf die grüne Wiese hinaus, sondern verändern, transformieren und verdichten im Bestand, nach innen.
Was heisst das für die Stadtentwicklung in Bern?
Ich kippe über der gebauten Stadt Bern die Kleinstadt Burgdorf aus, mit allem, was dazu gehört - Bahnhöfe, Schulen, Wohnhäuser, Arbeit, Industrie. Die Kleinstadt muss nun sorgfältig innerhalb der Stadtberner Grenzen integriert werden. Dabei sollte die Lebensqualität insgesamt besser werden. Da müssen alle Beteiligten umdenken, Bevölkerung, Politik, Behörden, Interessenvertretungen und vor allem der Markt, der bauen will. Man muss Verständnis und Goodwill schaffen, geeignete Prozesse initiieren und diese bis zum Erfolg begleiten.
Wie wird man dereinst auf Wankdorfcity 3 zurückblicken?
Die Generation, die ein Werk erschafft, kann nicht voraussagen, ob dieses in ferner Zukunft als hochwertig und wertvoll eingestuft wird oder nicht. Ich kann nicht prophezeien, ob Wankdorfcity 3 in 30 Jahren gelobt oder sogar unter Denkmalschutz gestellt wird. Ich bin optimistisch, weil wir einen neuen Weg gehen, zumindest für Bern und in dieser Dimension. Es würde mich nicht wundern, wenn dieser Weg schweizweit Beachtung findet. Die Beteiligten praktizieren ein innovatives, interdisziplinäres und prozessorientiertes Denken. Gegenseitiges Vertrauen und Respekt zur Fachexpertise des Gegenübers sind dabei zentral. Und das alles unter marktwirtschaftlichem Druck. Ich hoffe, dass dieser Pioniergeist Erfolg haben wird.
Bildquelle: Andreas von Gunten